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Wenn das Problem im Kopf beginnt – und auf der Strasse endet

Ich lebe nun seit 20 Jahren in der Schweiz und kann behaupten, nicht nur angekommen, sondern auch gut integriert zu sein. Auch habe ich mich vor einigen Jahren einbürgern lassen, was mich selbstverständlich nicht zu einer gebürtigen Schweizerin macht, aber meine Zugehörigkeit unterstreicht. Ich fühle mich hier zu Hause, habe Freunde und Familie und gehe arbeiten.


Trotzdem habe auch ich schon schlechte Erfahrungen gemacht.



Und zwar wurde ich schon persönlich angegriffen. Der Grund? Weil ich Ausländerin bin.


Nachfolgend erzähle ich dir mal die erste und auch die letzte Begebenheit, die noch gar nicht so lange her ist.



Kurz nach meiner Auswanderung im März 2005 fand ich einen handgeschriebenen Brief in meinem Briefkasten in einer ungewöhnlich krakeligen Schrift. Der Verfasser hielt sich weder an die vorgegebenen Linien, noch an die vorherrschende Rechtschreibung und verfasste das Stück mit einem dicken, schwarzen Stift und einem Fineliner. Auf dem Blatt wie wohl auch im Kopf des Verfassers herrschte Chaos! An den genauen Wortlaut kann ich mich zwar heute nicht mehr erinnern, nur an diesen einen Satz, der herausstach. Nämlich, «dass ich Drecksdeutsche zwei Wochen Zeit hätte, die Schweiz wieder zu verlassen.» Ich blieb ruhig, schaute mich um, ob mich ein Nachbar beobachten würde, aber da war niemand. Angst machte mir der Brief jedoch nicht und ich schmiss ihn dorthin, wo er hingehörte: in den Müll.


Natürlich kann solch eine Erfahrung Angst machen und die Unsicherheit schüren, aber ich liess es darauf ankommen und meldete den Vorfall nicht der Polizei. Und weisst du was? Es ist nie etwas passiert. Ich erhielt keinen neuen Brief, mir wurde nicht aufgelauert und auch sonst erfolgte kein Anschlag. Es passierte einfach nichts.



Anders sah es bei dem letzten Vorfall aus, der noch gar nicht so lange her ist.


Ich pflückte Hagebuttenblüten für meine Meerschweinchen. Nur eine Handvoll, weil sie die als Snack sehr mögen. Ich stand selbstverständlich nicht auf einem Privatgrundstück, sondern an einem riesigen Busch, der auf einem öffentlichen Platz stand. Plötzlich fuhr mich jemand von der Seite an: «Was mir einfällt! Dass ich damit aufhören soll! Dass das nicht schön ist! Was zum Teufel ich mir eigentlich dabei denke?“ usw. Ich ging nur an der Person vorbei, wehrte mich aber, weil ich nicht auf den Mund gefallen bin und auch keine Angst habe, meine Meinung zu sagen. Die Person sagte daraufhin nur: «Scheiss Ausländer!» Ich konnte nicht anders und lachte lauthals los und meinte nur «Ja, genau!» Dann liess ich die Person sichtlich perplex stehen.



Solch ein Verhalten offenbart mir jedoch genau drei Dinge über diese Person:


Unzufriedenheit

Im Grunde ist diese Person unzufrieden mit sich und ihrem Leben, weswegen sie sich in das Leben anderer einmischt und ungefragt ihre Meinung kundtun. Dass sie dabei auf Widerstand treffen könnte, nimmt sie in Kauf, denn das steigert sie noch mehr in ihr Machtgehabe und ihre Besserwisserei hinein. Solche Menschen sehen und verstehen ihr Fehlverhalten nicht und bemerken auch nicht, wie unangenehm sie sind. Doch solch eine Unzufriedenheit frisst sich durch Gedanken, verändert die Wahrnehmung und sucht Schuldige. Wer jedoch mit sich im Reinen ist, hat keinen Grund, anderen grundlos Hass entgegenzubringen.


Unsicherheit

Wenn die richtigen Argumente fehlen, man nicht ruhig bleiben, sich nicht klar artikulieren und ausdrücken kann, keine Fragen stellt und auch sonst nicht auf sein Gegenüber eingehen kann, ist ein Wutausbruch wahrscheinlich, der, wie in meinem Fall, verbal war. So kann es dann auch vorkommen, dass diese Menschen plötzlich mit Schimpfwörtern um sich werfen. Das zeugt jedoch von deren eigenen Unsicherheit und hat rein gar nichts mit einem selber zu tun. Denn, wenn man andere herabsetzt, versucht man sich nur selber zu erhöhen. Das ist jedoch nur ein schwacher Versuch, Kontrolle haben zu wollen.


Unwissen

Aber diese Unsicherheit hat auch mit einer gewissen Unwissenheit zu tun, vor allem wenn die «Ausländerkeule» geschwungen wird. Letztlich sind wir alle Ausländer – irgendwo auf der Welt, selbst wenn wir nur ins Nachbarland reisen. Doch in all unseren Adern fliesst kein reinrassiges Blut. Man muss sich nur die Geschichte ansehen, auch die der Schweiz. So gehörten zu den ersten Bewohnern Menschen aus Südeuropa, dem Balkan und Mitteleuropa. Also zum Beispiel Kelten, Römer und später auch Germanen.



Wenn ich mich jedoch in solchen Situationen wiederfinde, in welchen ich dafür verurteilt werde, Ausländerin zu sein, gehe ich einfach weg und lasse den Menschen stehen. Ich lasse mich nicht auf einen Streit ein und lasse mich auch nicht auf deren Niveau herab. Auch verinnerliche ich das Gesagte nicht, denn letztlich hat es im Grunde nichts mit mir persönlich zu tun. Je mehr man sich aber solchen Menschen entgegenstellt, je mehr Bühne bietet man ihnen für ihr Theater. Wenn man aber einfach lächelt und sich umdreht, spart man sich Zeit, aber vor allem auch Nerven.


Doch mehr Miteinander statt Gegeneinander wäre die einfachste und beste Lösung. Wir haben schliesslich alle etwas gemeinsam: Wir sind alle Menschen. Und am Ende zählt nicht, woher wir kommen, sondern wie wir miteinander umgehen.



In diesem Sinne alles Liebe,

Anne 💛

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