Von Leid und Mitleid 🫶
- Anne Estermann
- 1. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Jede Krankheit hat ihre Geschichte und sollte individuell betrachtet werden. So sind Krankheiten trotz gleicher Diagnose nie gleich, da jeder Mensch andere Erfahrungen macht. Von den Symptomen bis hin zur Genesung. Was ich aber zum Teil schlimm und auch sehr unangebracht finde, sind nachfolgende Sätze, Äusserungen und damit auch Abwertungen.

Relativierung des Leids
Wenn gesagt wird, «Sei froh, es war nichts Schlimmeres!» relativiert es die Erfahrungen des Erkrankten und spricht ihm die Bedeutung ab. Besonders, wenn dieser emotional und körperlich stark gelitten hat. Das Gefühl, nicht ernstgenommen zu werden, kann manchmal verletzender als die Krankheit selber sein.
Manchmal ist es aber so, dass die Mitmenschen solche Äusserungen ohne Hintergedanken tätigen, da sie selber mit der Situation überfordert sind. Sie wissen schlichtweg nicht, wie sie reagieren und was sie sagen sollen. Sie fühlen sich hilflos und wollen das Thema schnell beiseiteschieben. Manche gehen sogar soweit, dass sie sich gar nicht mehr bei dem Erkrankten melden. Dabei bemerken sie nicht, dass diese Haltung dem Erkrankten nicht weiterhilft und auch sehr schmerzhaft ist.
Vergleich statt Mitgefühl
Wenn jemand sagt, dass es anderen Menschen schlechter ergangen ist oder es ihnen weiterhin schlecht ergeht, ist das empathisch gesehen sehr ungeschickt. Denn jede Krankheit ist eine individuelle Erfahrung und was für einen eher unbedeutend ist, kann für den anderen beängstigend, schmerzhaft, oder sogar existenziell bedrohlich sein.
Falsche Schutzstrategien
Oft gehen Menschen unangenehmen Themen wie Krankheiten aus dem Weg, indem sie sie klein reden. Oder wie schon vorab erwähnt, sich zurückziehen. Das ist ihr eigener Schutzmechanismus, aber wichtiger ist, dass es hier nicht um einen selber geht, sondern sich das Gegenüber nicht mit den Erfahrungen auseinandersetzen möchte. Das kann sich kalt und respektlos anfühlen, hat aber eben nichts mit dem Erkrankten selber zu tun.
Würdigung statt Bewertung
Erkrankte kennen das Gefühl von Angst, dem Ausgeliefertsein, dem Kontrollverlust, dem Hoffen auf Besserung und dem Schmerz, der Verzweiflung oder Erschöpfung. Oft können Aussenstehende dies gar nicht nachvollziehen, wobei es weniger um Ratschläge als um das Zuhören geht. Erkrankte wollen gehört werden, da eine Krankheit einen Menschen durchaus verändern kann. Denn Leid ist nicht vergleichbar und Schmerz ist keine Rangliste. Angst auch nicht. Und manche Menschen erleben durch eine Krankheit tiefe Einsichten, oder auch (Lebens-)Veränderungen. Es wäre schön, wenn sie Menschen an ihrer Seite hätten, die das verstehen (wollen).
Deshalb braucht ein Betroffener kein Mitleid, aber Mitgefühl.
Keine Bewertung, aber Würdigung.

Und so geht’s
Ich kann nachvollziehen, wie unsicher man sich als Angehöriger oder Freund fühlen kann, aber wie wäre es mit solchen (unterstützenden und ernstgemeinten) Äusserungen:
«Ich habe nicht bemerkt, dass das so schlimm für dich war.»
«Das klingt belastend – wie ging es dir damit und wie geht es dir jetzt?»
«Gut, dass du da wieder rausgekommen bist.»
«Zum Glück geht es dir wieder besser!»
«Wie kann ich dich weiter unterstützen? Was kann ich für dich tun?»
Oder einfach schweigen, zuhören und da sein. So einfach. So viel menschlicher.
Fazit
Man darf nicht erwarten, dass alle Menschen Verständnis oder Empathie für die eigene (Kranken-)Geschichte aufbringen. Einigen fehlt es schlichtweg an Einfühlungsvermögen, oder Interesse. Das bedeutet aber nicht, dass man sich und das Geschehene klein reden, schönreden, oder abreden sollte, aber jeder Mensch empfindet anders. Wichtig ist, sich nicht runterziehen zu lassen und sich mit der Erkrankung und den daraus entstehenden Gefühlen auseinanderzusetzen.
Denn eine Krankheit ist nie nur ein körperlicher Zustand. Sie ist auch emotional, sozial, manchmal existenziell. Wer sie erlebt, verdient keinen Vergleich mit anderen, oder Schlimmerem, sondern eine einfache menschliche Geste: Gesehen und Verstehen wollen.
Man muss nicht alles nachvollziehen können. Aber man kann aufhören, zu urteilen. Und das ist manchmal der grösste Akt von Mitmenschlichkeit.
In diesem Sinne: Auf die Menschlichkeit statt die Meinung!

Eure Anne 💛