Eine Diagnose stellt nicht nur die Welt für den Betroffenen auf den Kopf, sondern auch jene seiner Angehörigen. Auch bei mir war dies so. Besonders gelitten hat jedoch meine damals erst fünfjährige Tochter.
Nachfolgend habe ich deshalb das zusammengetragen, wie wir als Familie versucht haben, ihr zu helfen. Und vielleicht helfen diese Einblicke dem einen oder anderen seinem Kind in dieser schwierigen Situation zu helfen.
Als ich die Diagnose Gehirntumor erhalten habe, haben mein Mann und ich versucht, es unserem Kind so schonend beizubringen wie es nur ging. Dabei haben wir immer wieder betont, dass ich zwar ins Krankenhaus muss, aber bald wieder nach Hause kommen würde. Sie hat sehr viel geweint und war sehr anhänglich. Während meiner Abwesenheit hat sie aber plötzlich rebellisch reagiert, so auch, als ich wieder nach Hause kam.
Zwar war sie die erste Zeit dankbar, dass ich wieder da war und hat oft in meinem Bett geschlafen, sich an mich gekuschelt und immer wieder leise „Mami, halt mich fest!“ geflüstert. Aber ihre Gefühle waren schwankend.
Von einer liebevollen Anhänglichkeit ging es oftmals nahtlos in eine manchmal aggressive Ablehnung mir gegenüber über. Manchmal fing sie auf offener Strasse an mich anzuschreien, dass „sie mich hasst“ und „ich nicht mehr ihre Freundin sei“. Ich merkte schnell, dass es ein Hilferuf von ihr war. Sie hatte Verlustangst. Angst, mich zu verlieren und deshalb kam sie mit der ganzen Situation nicht klar, dass ich krank war und auch noch sichtlich mit den Nachwehen der Krankheit (wie der Gesichtslähmung) zu kämpfen hatte.
Sie war überfordert mit der Situation und sauer auf mich. Sie war sauer, dass ich krank war. Sie war sauer auf mich, dass ich sie alleine liess. Alleine, in einer Zeit, wo ich doch für sie da sein sollte. Auch, wenn ich eigentlich gar nichts dafür konnte.
Doch sie konnte dies nicht wissen, nicht einstufen, nicht reflektieren. Wenn Kinder älter sind, kann man mit ihnen erklären, aber sie war erst fünf Jahre alt. Und jedes Kind reagiert auf solch eine offensichtliche (Lebens-)Veränderung anders.
Also habe ich das gemacht, was ich für mein Kind am besten hielt.
Zum einen durfte sie mich im Krankenhaus besuchen. Mit dem Involvieren wollte ich erreichen, dass sie sieht, dass ich noch da bin. Sie sollte am Heilungsprozess teilnehmen, so nahm ich sie auch mit zu den Arztterminen nach dem Krankenhausaufenthalt. In der Tat hat sie – noch heute – grosse Freude, wenn sie meine Hand halten und bei mir sein kann, wenn mir zum Beispiel Blut abgenommen wird.
Und wenn sie angefangen hat, ihre (ich nenne sie gerne) fünf Minuten zu haben, dann liess ich sie. Ich nahm es nicht persönlich, denn sie konnte sich nicht anders helfen, sich nicht derart artikulieren wie wir Erwachsene.
Ich fand und finde es richtig und wichtig, dass sie ihre Gefühle herauslässt und sie nicht unterdrückt. Sie soll nun keine Gegenstände kaputtschlagen oder sogar andere Kinder quälen, aber wenn sie sauer, enttäuscht oder traurig ist, soll sie es zeigen. In solch einem Moment mache ich dann nichts anderes, als mein Kind in den Arm zu nehmen. Ich halte sie dann immer ganz fest und flüstere ihr zu, dass ich sie lieb habe.
Auch habe ich weitere Menschen eingeweiht, dass sie ein Auge auf mein Kind haben. Nicht, weil ich mich oder die ganze Angelegenheit wichtigmachen oder hochspielen wollte, doch es gibt Menschen, die mein Kind lange genug kennen und sie gut einschätzen und ihr helfen können. So weihte ich ihre damalige Kindergärtnerin ein und sprach auch mit der Kinderärztin, welche mein Kind seit ihrer Geburt kennt.
Auch verbringe ich sehr viel Zeit mit meinem Kind und bleibe in ihrer Nähe, wenn sie es wünscht. Vorausgesetzt, es ist mir natürlich möglich. Aber wenn ich sie zum Beispiel bittet, sie in die Schule zu begleiten, dann tue ich dies. Einfach, damit sie sieht, dass ich sie nicht alleine lasse und für sie da bin.
Und wenn sie mich darum bittet ihr meinen „Kratz“ zu zeigen, dann tue ich das.
„Kratz“, so nennt sie meine Operationsnarbe am Kopf. Ab und an fragt sie nach dieser und möchte sie sehen, um mir dann zu sagen, dass alles in Ordnung ist.
Ich muss an dieser Stelle hinzufügen, dass wir uns sehr nahe stehen. Wenn es einen Menschen gibt, der sich seit ihrer Geburt 24 Stunden um sie gekümmert hat, dann war ich das. Und ich werde dies auch bis an mein Lebensende tun – egal, ob mein Kind fünf oder fünfzig Jahre alt ist.
Denn was Kinder wirklich brauchen, auch während solch einer für sie schweren Zeit, dann sind dies Stabilität und Sicherheit.
So hart die Zeit auch für das kranke Elternteil ist – und ich kann dies bestätigen –, so hat man eine Verpflichtung diesen kleinen Menschen gegenüber. Man muss für sie da sein und sie nicht mit deren Gefühlen und Gedanken alleine lassen.
Auch hier ist es wichtig, wie man mit seiner (gesunden Lebens-)Einstellung an die Sache herangeht. Es nutzt letztlich niemandem, passiv, böse oder (auch) aggressiv zu werden, aufzugeben oder sich weinend ins Bett zu verkriechen. Wobei ich Letzteres auch mal gemacht habe und dafür schäme ich mich auch nicht, denn es kann einem nicht immer gut gehen. Manchmal bin auch ich traurig und manchmal hüpfe ich wütend wie Rumpelstilzchen durch die Wohnung.
Aber wichtig ist, dass man sich wieder fängt und den Kopf immer schön oben behält. Und das Schöne ist, dass mein Kind mein Verhalten nachahmt: Wenn es mir nicht gut geht, dann umarmt sie mich.
Wer jedoch Hilfe braucht, der sollte sich auch welche nehmen. Denn nur DU kennst dein Kind am besten und weisst, was diesem gut tut. (Oder du weisst es in dem Moment nicht und brauchst Unterstützung. Dann hol' sie dir!)
Es gibt einige Organisationen, die bei Familienangelegenheiten helfen können. Es gibt bei uns zum Beispiel die Mütter- und Väterberatung, den Elternnotruf oder den psychologischen Dienst. Auch der Kinderarzt kann womöglich helfen, falls er das Kind sehr gut kennt.
Es gibt auch einige Kinderbücher zu dem Thema, welche man zusammen mit dem Kind anschauen kann. Muss also ein Elternteil ins Krankenhaus, kann man mit dem Kind solch ein Buch ansehen und ihm dabei helfen, seiner Gefühle Herr zu werden. Dabei wird in den meisten Büchern sehr sensibel auf das Thema eingegangen und es werden ein paar Tipps gegeben.
Meinem Kind hat dies gut geholfen, so auch, in meinem Bett zu übernachten. Sie brauchte die Nähe und es tat ihr sicher gut, meinen Geruch um sich zu haben. Als ich dann physisch wieder da war, durfte sie weiterhin bei mir schlafen, bis es ihr wieder gut ging und sie wusste, dass ich da bleiben würde.
Grundsätzlich gesagt, müssen Eltern aber auf keinen Fall alles alleine bewältigen.
Man darf sich als Mutter oder Vater nicht schlecht fühlen, wenn man Hilfe braucht. Vor allem, wenn man keine Familie in der Nähe hat, die einen unterstützen kann. Denn jeder Mensch ist anders, so auch jedes Kind und manchmal stellt eine Veränderung im Leben das Kind vor ungewohnte Probleme. Da muss man diesem helfen und darf sich aber selber dabei auch nicht vergessen.
Denn Eltern sind letztlich auch nur Menschen – so wie Kinder auch.